„Diese Wirtschaft tötet“, so hat es Papst Franziskus 2013 geschrieben. Mit dieser Aussage klagt der Papst Menschenrechtsverletzungen und sklavenähnliche Zustände in der globalisierten Wirtschaft an, beispielsweise in den Textil- und Handyfabriken Asiens.

Doch es gibt auch weniger bekannte tödliche Folgen dieser Wirtschaft. Beim Rohstoffabbau werden beispielsweise giftige Chemikalien genutzt, die Luft wird durch Feinstaub und das Wasser durch giftige Abwässer verschmutzt. Kurz: Die Gesundheit der Arbeiter*innen und Anwohner*innen wird zerstört. Und der mit dieser Wirtschaft einhergehende Klimawandel vernichtet schon heute die Lebensbedingungen und Einkommensmöglichkeiten von Millionen von Menschen.

Was heißt Divestment?

Divestment ist das Gegenteil einer Investition. Grob gesagt geht es darum, der „tödlichen Wirtschaft“ das Geld zu entziehen sowie durch Öffentlichkeitsarbeit auf schädliche Wirtschaftspraktiken und ihre Finanzierung aufmerksam zu machen. Ist der Ansatz des Divestment ein Weg, um die negativen Auswirkungen unseres Wirtschaftssystems zu bekämpfen? Divestment zielt vor allem auf die klimaschädliche Kohle-, Öl- und Gasindustrie. Denn in irgendeiner Form finanzieren oder profitieren wir fast alle von diesen sogenannten fossilen Industrien. Als Kleinanleger kaufen wir beispielsweise Anteile an Aktienfonds. Diese Fonds geben unser Geld an Unternehmen weiter, die in der Förderung, dem Handel oder der Verstromung von Kohle, Öl und Gas aktiv sind. Neben diesen direkten Investments sind wir auch indirekt an der fossilen Wirtschaft finanziell beteiligt.

Denn „unsere“ Kirchen und Bistümer, Kommunen, Städte, Universitäten und Pensionskassen investieren ihr und unser Vermögen in die fossile Wirtschaft. Als Mitglied von Kirchengemeinden, als Rentner und auch als Bürger profitieren wir also von diesen Anlagen in klimaschädliche Unternehmen. Somit trägt jeder von uns ein Stück Verantwortung für die „tödliche Wirtschaft“.

Verfolgt man zudem den Anspruch, die „tödliche Wirtschaft“ zu überwinden, reicht der Fokus auf die fossilen Energieträger nicht aus.

Stattdessen müssten Anleger ihr Geld auch aus Unternehmen abziehen, die menschenrechtlich kritische Bergbauprojekte betreiben oder Rohstoffe aus diesen Projekten zur Weiterverarbeitung kaufen. Denn im Bergbau werden noch immer viel zu häufig Menschen ausgebeutet. Es gibt zahlreiche Fälle von Kinderarbeit in Minen, der Lebensraum der Menschen wird zerstört oder sie werden von ihrem Land vertrieben.

Divestment als Ausweg aus der tödlichen Wirtschaft?

Entziehen wir Unternehmen das Geld, können sie nicht mehr in menschenrechtlich fragwürdige und klimaschädliche Projekte investieren. So weit, so einfach. Doch Kritiker werfen der Divestment-Bewegung vor, ihre Bemühungen gingen an den Realitäten einer globalisierten Wirtschaft vorbei. Was ist dran an dieser Kritik?

Ein Tropfen auf den heißen Stein?

Laut der Klimaschutzorganisation 350.org haben sich mittlerweile Anleger*innen zum Divestment entschieden, die ein Vermögen von 5,5 Billionen US-Dollar halten. Ihr Vermögen wird zukünftig nicht mehr in fossile Industrien angelegt. Über 800 institutionelle Investoren, Staatsfonds, Kommunen, Universitäten, Pensionsfonds und Städte sowie mehr als 58.000 Privatpersonen bekennen sich zum Divestment. Die Bewegung wächst.

Doch so riesig diese Zahlen klingen, im Vergleich zum weltweit angelegten Vermögen sind sie lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein – was viele Divestment-Befürworter auch gar nicht abstreiten (s. unten). Allein der weltweit größte Vermögensverwalter BlackRock verwaltet 5,4 Billionen US-Dollar. Auch der größte Pensionsfonds, der japanische Government Pension Investment Fund, verwaltet 1 Billion US-Dollar an Vermögen. Insgesamt verfügen die institutionellen Anleger – also beispielsweise Vermögensverwalter, Staats- und Pensionsfonds, Hedgefonds, Stiftungen, Kreditinstitute und Kirchen – über mehr als 100 Billionen US-Dollar weltweit.

Dementsprechend schreibt die NGO Finance Watch:

„Die Nachfrage nach liquiden Vermögenswerten wie den Aktien großer Ölunternehmen [ist] zu groß, als dass man irgendwelche Auswirkungen der Desivestitionen messen könnte. (…) Investoren, die ihr Geld abziehen, werden durch solche ersetzt, die sich des Klimawandels weniger bewusst sind und die weniger Fragen stellen. So kann das Unternehmen weitermachen wie zuvor“.

Divestment: Der tödlichen Wirtschaft die moralische Grundlage entziehen       

Die deutsche Divestment-Kampagne Fossil Free Deutschland ist sich dieses Problems durchaus bewusst und hält fest: „Mit Divestment bewirkt man zwar nicht den finanziellen Bankrott der Kohle-, Öl- und Gasindustrie“. Man wolle vielmehr ihren „moralischen Bankrott“ betreiben.

Divestmentaktionen wollen also der dreckigen, „tödlichen Wirtschaft“ die moralische Grundlage entziehen. Sie haben das Ziel, die klimaschädlichen Praktiken CO2 -intensiver Industrien und ihre Finanzierung in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit zu zerren. Das Ziel ist, dass Unternehmen an Reputation verlieren und deswegen ihr Geschäftsmodell hin zu mehr Nachhaltigkeit ändern.

Investitionsrisiken und Renditen sprechen für Divestment

Die Botschaften der Divestmentbewegung kommen auch an den Finanzmärkten an. „Banken und Finanzdienstleister […] fragen sich, ob die in Felsen verborgenen Kohleflöze bald noch so viel wert sein werden wie sie heute in den Büchern von Energiekonzernen stehen“. Vermögensverwalter erkennen auch immer häufiger die Investitionsrisiken fossiler Anlagen, d. h. die Gefahr, dass ihre Investments in klimaschädliche Industrien immens an Wert verlieren, sollte sich die globale Gemeinschaft zu einem schnellen Umstieg auf erneuerbare Energieträger entscheiden.

Erfreulich und unerwartet sind die Entwicklungen bei den Renditen nachhaltiger Anlagen im Vergleich zu fossilen Investments. So haben die letzten Jahre gezeigt, dass Investitionsstrategien, die Unternehmen ausschließen, die Kohle-, Öl- oder Gasreserven besitzen, ähnliche und teilweise sogar höhere Renditen erzielen als fossile Investments.

Die mit fossilen Anlagen verbundenen Investitionsrisiken, Reputationsrisiken für Unternehmen („moralischer Bankrott“) und vergleichbare Renditen nachhaltiger Anlagen sind Zeichen dafür, dass ein Divestment auch betriebswirtschaftlich Sinn macht.

Auf die politische Verantwortung aufmerksam machen

Neben der Verantwortung von individuellen und institutionellen Anlegern – Kirchen, Bistümern, Städten, Kommunen, Universitäten, Sozialversicherungen –sollten Divestment-Kampagnen auch auf die Rolle von Staaten, Versicherungen und der Europäischen Zentralbank aufmerksam machen.

Denn die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, darunter auch Deutschland, subventionieren die fossilen Energieträger jährlich mit 444 Milliarden US-Dollar. Das ist circa vier mal mehr als weltweit an Subventionen für erneuerbare Energien fließen. Ebenso versichern große Versicherungen diese Projekte und tragen so maßgeblich zu deren Realisierung bei.

Und die Europäische Zentralbank (EZB) hat im Zuge der Förderung der europäischen Wirtschaft für 128 Milliarden Euro Unternehmensanleihen gekauft (Stand Mitte Dezember 2017). Diese Anleihen funktionieren ähnlich wie ein Kredit. Das Problematische an den Anleihe-Käufen der EZB ist, dass sie auch Klimasünder wie globale Ölunternehmen oder Unternehmen finanzieren, die Dämme in Südamerika bauen und dabei die Menschenrechte missachten.

Auch Windräder, Elektroautos und andere grüne Technologien bedürfen Rohstoffe

Divestment-Kampagnen sollten zudem darauf hinweisen, dass ein Umstieg auf erneuerbare Energien und die E-Mobilität mit einem erhöhten Rohstoffverbrauch einhergeht. Denn diese grünen Technologien sind häufig materialintensiver als herkömmliche. Es wird eine immense Steigerung der Nachfrage beispielsweise bei Lithium oder Kobalt prognostiziert. Beide Rohstoffe werden für Akkus in E-Autos genutzt. Auch für Kupfer wird die Nachfrage aller Voraussicht nach steigen. Denn mit dem Ausbau der Windenergie müssen auch die Stromnetze ausgebaut werden.

Dieser Rohstoffbedarf ist problematisch, da die Rohstoffförderer bei der Produktion von Kobalt und Lithium häufig auf Kinderarbeit zurückgreifen und Gesundheitsschäden durch Umweltverschmutzungen in Kauf nehmen. Zudem geht der Bergbau mitunter mit durch Erdrutschen bedingten Todesfällen, Zwangsumsiedlungen (u. a. Kobalt), einer Konkurrenz um knappes Wasser (Lithium) und sozialen Konflikten einher.

Demensprechend muss darauf geachtet werden, das Geld zwar aus den klimaschädlichen fossilen Energieträgern abzuziehen, gleichzeitig aber nicht einen menschenrechtlich problematischen Rohstoffabbau zu investieren.