„Was wir über Freihandel erzählen, ist einfach Quatsch!“ Ende Mai war Heiner Flassbeck an die Uni Hamburg eingeladen. In einem fulminanten Vortrag, der so gar nichts mit gewöhnlichen Uni-Veranstaltungen zu tun hatte, macht Flassbeck auf die grundlegenden Fehler des Freihandelsglaubens aufmerksam. Im Zentrum steht die Frage: Warum gibt es in den Entwicklungsländern kaum Fortschritte, obwohl sie doch die Idee des Freihandels umsetzen?

Das zentrale Problem beim Freihandel ist, dass die ihm zugrundeliegende Theorie Vollbeschäftigung annimmt. Dann würde jedes Land sich auf jene Produkte konzentrieren, die es am besten herstellen kann. Durch den Handel gäbe es einen Austausch von dem jeder profitieren würde, weil er Produkte im Ausland günstiger kaufen könnte als sie selbst herzustellen. Aber: Die Arbeitslosigkeit in Afrika liegt häufig bei 40%, teilweise sogar bei weit über 50%. Es herrscht also keine Vollbeschäftigung. Und auch in Europa gibt es noch Arbeitslosigkeit.

Auch die mit freien Märkten einhergehenden Direktinvestitionen sieht Flassbeck sehr kritisch. Denn wenn Investoren mit der deutschen Produktivität – also einem hohen Technologieniveau, einer ausgefeilten Fabrikorganisation usw. – bspw. nach China gehen und dort zu den chinesischen Löhnen produzieren, dann haben diese ausländischen Investoren immense Vorteile gegenüber einheimischen Unternehmen, die noch nicht die hohe Produktivität erreicht haben. Die ausländischen Investoren senken dann die Preise und verdrängen ihre (einheimische) Konkurrenz vom Markt. Trotz dieser Schäden versuchen alle Entwicklungsländer, ausländisches Kapital ins Land zu locken. Der Staat müsste hier – wie in China – lenkend eingreifen und für Lohnerhöhungen sorgen. Dann kämen die ausländischen Investitionen auch den Menschen vor Ort zugute.

Flassbeck nennt zudem Japan und Südkorea als Vorbilder für heutige Entwicklungsländer. Sie hätten die westliche Technologie kopiert und in ihren abgeschotteten Heimatmärkten zunächst eine eigene Produktionsbasis aufgebaut, bevor sie sich für den freien Handel geöffnet haben (siehe auch hier). Eine solche Industriepolitik werde den Entwicklungsländern jedoch von den internationalen Organisationen verboten.

Allerdings brauche man von Freihandel und fairen Handelsabkommen gar nicht erst reden, wenn es nicht gelänge, eine andere Weltwährungsordnung zu schaffen. Entwicklungsländer verlieren derzeit ständig an Wettbewerbsfähigkeit, da sie hohe Inflationsraten haben. Arbeit und Kapital werden dort also ständig teurer und somit auch die im Land hergestellten Produkte (auch im Vergleich zu ausländischen Produkten). Das könnte durch Währungsabwertungen ausgeglichen werden. Doch einen solchen Mechanismus gibt es auf internationaler Ebene nicht. Stattdessen bestimmen Währungsspekulanten das Schicksal von Entwicklungsländern. Sie tragen ihr Geld in Länder, die mit Zinserhöhungen ihre Inflation bekämpfen wollen. Die hohen Zinsen versprechen hohe Renditen für die Spekulanten. Die Folge ist eine Währungsaufwertung, wodurch die Entwicklungsländer auf dem Weltmarkt weiter an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Dadurch sind ganze Industrien kaputt gegangen.

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https://lecture2go.uni-hamburg.de/l2go/-/get/v/23016