Seit dem 22. Dezember fährt die Sea-Watch 3 mit 32 aus Seenot geretteten Flüchtlingen vor der Küste von Malta hin und her (hier). Das Schiff darf ebenso wie die Professor Albrecht Penck nicht in Malta anlegen, bevor der Verbleib von weiteren 249 Schriffbrüchigen von den europäischen Staaten geklärt wurde. Die Nahrung auf den beiden Schiffen wird mittlerweile rationiert. Die Situation der Menschen an Bord wird als medizinischer Notfall betrachtet (hier).

Pia Klemp (35) ist seit September 2017 in der Seenotrettung aktiv und Kapitänin der Sea-Watch 3. Sie ist eine von zehn Crewmitgliedern gegen die wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung in die EU ermittelt wird. Das folgende Interview erschien in der Positionen 2/2018, einer Zeitschrift des Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen (VEN), an deren letzter Ausgabe ich mitarbeiten durfte. Es wurde im Dezember 2018 von Nina Gawol, Fachpromotorin für Öffentlichkeitsarbeit und Internationales beim VEN, geführt.

Gawol: Wie viele Menschen habt Ihr bei Euren Einsätzen aus dem Mittelmeer gerettet?

Klemp: Sea-Watch war bis heute an der Rettung von über 37.000 Menschen beteiligt. Vielen Menschen bleibt nichts anderes als die gefährliche Route über das zentrale Mittelmeer zu wählen, um ihr Menschenrecht auf Asyl wahrnehmen zu können. Es gibt skandalöserweise keine legalen und sicheren Einreisewege in die EU. Die Boote über das zentrale Mittelmeer legen von der libysche Küste ab. Wenn die Leute in Libyen ankommen, sind sie Menschenhändlern, Schmugglern und verschiedenen Milizen ausgesetzt, die sie ausnehmen, foltern oder monatelang in konzentrationslagerähnlichen, sogenannten Detention Camps unterbringen, bevor sie sie auf die seeuntauglichen Boote zwingen – teilweise unter Waffengewalt.

Diese Boote geraten dann in Seenot. Trotzdem durften viele Schiffe der zivilen Seenotrettung in den letzten Monaten die Häfen nicht verlassen. Wie steht es um Dein Schiff?

Die Sea-Watch 3 wurde über drei Monate unter fadenscheinigsten Begründungen und durch Beamtenwillkür im Hafen von Valletta (Malta) festgehalten. Seit rund zwei Wochen ist das Schiff jetzt wieder frei. Es ist nun in Korsika, um sich auf die nächste Mission vorzubereiten.

Wer rettet gerade die Menschen, die sich weiterhin in Schlauchboote setzen (müssen)?

Im Moment ist es furchtbar im südlichen, zentralen Mittelmeer. Alle staatlichen Schiffe, seien es Küstenwächter oder europäische Militärschiffe, haben ihre Positionen immer weiter in den Norden verlagert. Sie wollen nicht in die Situation kommen, Menschen aus der Seenot retten zu müssen. Die Handelsschifffahrt umgeht diese Route schon seit Längerem, vor allem nachdem die EU das Retten von Flüchtlingen und Migranten kriminalisierte. Wir hören vermehrt von Fällen, in denen Handelsschiffe absichtlich einen großen Bogen um Boote fahren, selbst wenn diese offensichtlich in Seenot sind, um danach keinen Stress in europäischen Häfen zu bekommen.

Gleichzeitig unterstützt die EU mit Abermillionen von Euros und Schiffen die sogenannte libysche Küstenwache. Das sind letztendlich Milizen, die in Uniformen gesteckt werden. Sie werden von der EU dafür bezahlt, die Leute bereits in libyschen Gewässern abzufangen. Entgegen der Menschenrechte und entgegen der Genfer Konvention werden die Flüchtenden wieder zurück in die Lager in Libyen gesteckt.

In den letzten Monaten konnte man medial verfolgen, wie der privaten Seenotrettung zunehmend Steine in den Weg gelegt wurden. Wie hast Du diesen Prozess wahrgenommen?

Im August letzten Jahres war ich Kapitänin auf der Iuventa, als sie in Lampedusa von den italienischen Behörden beschlagnahmt wurde. Alle sogenannten Beweise, die dafür benutzt worden sind, waren komplett an den Haaren herbeigezogen und konnten mittlerweile widerlegt werden. Das Schiff ist aber immer noch beschlagnahmt. Auf meinen weiteren Missionen auf der Sea-Watch 3 wurde uns die Arbeit schwer gemacht. Beispielsweise bekamen wir keine sicheren Häfen genannt, sodass wir tagelang mit hunderten Menschen im schlimmen Zustand auf See verbringen mussten. Wir konnten keinerlei Hilfe oder Kooperation von den europäischen Staaten erwarten. Gleichzeitig bin ich eine von zehn der Ex-Iuventa-Crew gegen die die italienische Staatsanwaltschaft wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung in die EU ermittelt.

Seenotrettung ist eine völkerrechtliche Pflicht. Was wird Dir bzw. Euch vorgeworfen?

Das zeigt, wie absurd und hanebüchen die Geschichte ist. Das Seerecht ist das oberste Gesetz: Wenn jemand in Seenot ist, muss er gerettet werden. Dann gibt es aber auch noch die Menschenrechte, das Internationale Völkerrecht und die Genfer Konvention. Letztere besagt ganz klar, dass ein Mensch in einem sicheren Land Asyl beantragen darf. Im Gegenteil, es ist nach der Konvention sogar illegal, diesen Menschen woanders hinzubringen. Nichtsdestotrotz wird uns vorgeworfen, dass wir dazu beigetragen hätten, dass Menschen illegal in die EU eingereist sind. Was natürlich nicht stimmt.

Das bedeutet für Deinen Einsatz, dass Du auf deinen Gerichtsprozess warten musst?

Es geht aber nicht nur um uns zehn, gegen die dort ermittelt wird. Für uns ist das ein politischer Auftrag: Wir möchten zeigen, was an den EU-Außengrenzen passiert. Wir kämpfen gegen ein faschistoides Europa, und für legale und sichere Einreisewege für Menschen auf der Flucht.

Es lässt sich eine Parallele ziehen zu dem weltweiten Phänomen der „Shrinking Spaces“. Dabei gerät die Zivilgesellschaft zunehmend durch Repressionen unter Druck. Wie wehrt Ihr Euch gegen die Kriminalisierung?

Wir stützen uns gegenseitig und versuchen die Motivation oben zu halten. Das alles bringt große Einschränkungen mit sich, sowohl persönlich als auch bei der Arbeit, die wir machen wollen. Wir versuchen den Kampfgeist zu behalten und weiter für das aufzustehen, was richtig und was wichtig ist.

Wie können Euch Menschen unterstützen?

Jeder Mensch sollte politisch aktiv werden und auf die Straße gehen für etwas, was für uns alle wichtig sein sollte. Um uns konkret zu unterstützen, können die Leute auf unserer Website www.solidarity-at-sea.org gehen. Dort können sie sich über unseren Fall informieren und dort finden sie dann auch unser Spendenkonto. Leider kostet es viel Geld gegen diese Schikanen anzukämpfen und diesen auch medial und politisch entgegen zu wirken.

Was muss die europäische Politik tun, damit eure Arbeit nicht mehr notwendig ist?

Sie muss zu ihren vielbeschworenen Menschenrechten und allem, was damit verbunden ist, stehen. So wie die europäische Politik gerade läuft, ist es ein Abschotten, ein Verleugnen von Rechten für Leute, denen man diese Rechte einfach nicht geben will. Aber Menschenrechte sind nur dann etwas wert, wenn sie wirklich für alle Menschen gelten und nicht nur für privilegierte EU-Pass-Inhaber*innen.

Vielen Dank für Dein Engagement und das Gespräch.

 

Über die Lager in Libyen und die europäische Kooperation mit Diktaturen in einigen afrikanischen Ländern zur Abwehr von Flüchtlingen könnt ihr hier mehr lesen: Link.

 

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