Die Lobbyorganisation INSM mischt kräftig mit in der Debatte, ob die rekordverdächtigen Einnahmen des deutschen Fiskus ein Grund für Steuersenkungen sind. Die immer gleiche Methode: Verkürzte Fakten und zurechtgebogene Umfragen.

Ihre neue Kampagne für Steuersenkungen nennt sie forsch eine „Bürgerkampagne“. Um den vermeintlichen normalen Bürgern mehr Gehör zu verschaffen, hat die von der Metall- und Elektroindustrie finanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) „Umfragen“ erheben lassen. Denen zufolge wünschen sich etwa 7 von 10 Deutschen, dass ihre Steuerlast sinken soll.

Der „Bürger“ voran

Natürlich ist das tautologisch – unter dem Strich zahlt wohl niemand gerne Steuern. Der INSM geht es auch um etwas anderes, nämlich das absehbare Umfrageergebnis als deutliche Absage der Bürger an die Einführung einer Vermögenssteuer umzudeuten. Denn hätte die INSM ihre Umfrage präzisiert und nach dieser speziellen Steuer gefragt, lägen ganz andere Ergebnisse auf dem Tisch. De facto waren 2012 (Forsa: 77%) und 2016 (Infratest: 68%) eine große Mehrheit der Befragten für die Einführung einer Vermögenssteuer.

Doch damit nicht genug. Die Befragten werden von der INSM auch dafür instrumentalisiert, die Bundesregierung zur stärkeren Teilnahme am internationalen Steuerwettbewerb zu bewegen. Denn das Institut wünscht sich, „die Trumpsche Steuerreform in den USA [würde] auch den Handlungsdruck auf die Politik hierzulande erhöhen, Entlastungen zu prüfen – auch für die Bürger“. Das widerwillig nachgeschobene „auch“ lässt bereits ahnen, was das INSM geflissentlich auslässt: dass Trumps Steuerreform vor allem den Unternehmen und reichen Privatpersonen zugute kommt.

Es gibt unzählige solcher Beeinflussungsversuche der öffentlichen Meinung, für die das INSM schließlich auch großzügig finanziert wird. Kaum überraschend sind daher auch die deutlichen Positionierungen gegen zu hoch empfundene Mindestlöhne oder Sozialversicherungsbeiträge.

Beim Thema Sozialversicherung wendete die INSM die gleiche clevere Strategie wie bei der Steuersenkungskampagne an. Laut INSM-Umfrage seien über 70% der Deutschen gegen einen Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge. Ginge es wirklich um die Interessen der Bürger, wäre natürlich eine ganz andere Frage relevant gewesen: ob sie für eine Wiedereinführung der paritätischen Finanzierung der Sozialversicherungen sind (die, allen Bemühungen der INSM zum Trotz, im aktuellen Koalitionsvertrag steht). Derzeit zahlen Arbeiter und Angestellte einen größeren Anteil als die Unternehmen. Nur hätte diese Fragestellung mitnichten Ergebnisse im Unternehmensinteresse der INSM zustande gebracht.

„Seid ihr gegen Gemüse oder für Pommes?“

Der marktradikale Think Tank ist für seine äußerst fragwürdigen Statistiken und Methoden berüchtigt. Um das Bild vom unersättlichen Staat zu zeichnen, der zu viel einnimmt und zu viel ausgibt, waren in einer Umfrage vom 29.12.2017 gleich beide negativen Antworten möglich: „Sind Sie der Meinung, dass der Staat aktuell beim ausgeglichenen Bundeshaushalt eher zu viel einnimmt oder zu viel ausgibt?“. Man hätte auch fragen können: „Seid ihr gegen Gemüse oder für Pommes?“.

Zumal der Fragezusatz „beim ausgeglichen Bundeshaushalt“ den Antworten vorweg den ideologisch richtigen Spin geben sollte. Immerhin kann sich das Ergebnis für das INSM sehen lassen: zusammengerechnet 75 % der Befragten waren entweder der Meinung, dass der Staat zu viel einnimmt oder aber zu viel ausgibt.

Ähnlich irreführend agiert man in den sozialen Netzwerken, wo gesponserte Beiträge auf das Auseinanderdriften zwischen dem Einkommenssteueraufkommen des Staates und der Lohnsumme hinweisen. Folgende Grafik hat die INSM vor kurzem auf Twitter veröffentlicht:

Die Intention ist klar: Die Grafik soll Steuersenkungen rechtfertigen. Nur ist das Problem von prekär Beschäftigten und Geringverdienern nicht zuerst ihre Einkommenssteuerlast, die prozentual aufgrund der Progression weit unter der Steuerlast von Spitzenverdienern liegt. Ihr Problem ist, dass ihre Löhne jahrelang nicht gestiegen sind. Es kommt also darauf an, aus welcher Perspektive man so eine Grafik interpretiert.

Die Spitzenverdiener, die hinter der INSM stehen, sind natürlich für eine Verringerung der Einkommenssteuer – unter die im Übrigen auch Erträge aus Kapitaleinkommen fallen, Einkommen, die also häufiger bei Spitzenverdienern zu finden sind. Die gegängelte Mehrheit, zu deren Vertreterin sich die INSM stets aufschwingt, würde hingegen genau von dem profitieren, was die INSM nicht will – starken Lohnerhöhungen.

Im Reich der alternativen Fakten

Im Reich der alternativen Fakten ist man spätestens dann angekommen, wenn die INSM die angeblich zu hohe Steuerquote bemängelt, also den Anteil der Steuereinnahmen am Bruttoinlandsprodukt (BIP). Die Lobbyorganisation behauptet, diese Quote läge heute so hoch wie seit den 1980er Jahren nicht mehr. Eine kurze Recherche auf den Seiten des Bundesfinanzministeriums belegt hingegen, dass sich die Steuerquote über die letzten Jahre und Jahrzehnte nur minimal verändert hat und beispielsweise im Jahr 2000 höher war als heute. Im internationalen Vergleich weist Deutschland gar eine eher unterdurchschnittliche Steuerquote auf – soviel zum Steuerwettbewerb.

Fakt ist, Deutschland erwirtschaftet seit einigen Jahren eine schwarze Null und sogar Überschüsse. Die INSM ist nicht die einzige Akteurin, die deshalb Steuersenkungen fordert. Doch durch die Sparpolitik läuft Deutschland auf Verschleiß. Es klafft eine Investitionslücke, die von unterschiedlichen Experten im Bereich zwischen 60 und 80 Milliarden Euro angesiedelt wird.

Sparen wir weiter, werden zukünftige Generationen – darunter auch das Ungeborene, mit dem die INSM eine ihrer Kampagnen bebildert – unter der Voraussetzung anhaltender Konjunktur vielleicht eine geringere Staatsverschuldung erben. Doch von der kann sich niemand etwas kaufen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Makroskop.eu.

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